this post was submitted on 14 Dec 2025
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[–] kossa@feddit.org 2 points 1 week ago (1 children)

Mir geht's halt immer um diese random "Du liebst Putin, also ist die Diskussion hier zu Ende"-Takes.

Als Analogie: bei Straftaten gibt es auch immer Streit um das Strafmaß. Beliebtes, hochemotionales Thema: Vergewaltigungen. Die einen wollen am besten die Todesstrafe und vorher Eier abschneiden, die anderen wollen irgendwie Resozialisierung und ein präventives, aber menschliches Strafsystem. Wenn man Letzteren jetzt immer unterstellt, dass sie ja Vergewaltiger lieben, nur weil sie nicht die Todesstrafe wollen...fühlt man sich vielleicht gut, aber es stimmt halt nicht: niemand mag Vergewaltiger.

Die Gegenrede, ohne dass man automatisch Putin liebt, ist halt: Abschreckung hat leidlich gut im Kalten Krieg funktioniert (leidlich, weil frag' mal die Länder, die Opfer von Stellvertreterkriegen wurden, aber "funktioniert", weil die unmittelbar beteiligten Staaten nicht im Krieg waren). Das ist aber historisch eine große Ausnahme. Ansonsten führte jede Aufrüstung in Todesspiralen. Niemand hat je angefangen, alle haben sich immer nur verteidigt. Aber klar: wenn ich aufrüste, fühlt mein Gegner sich bedroht. Irgendwann entlädt sich das.

Was kann man ohne Aufrüstung (zunächst) gegen Putin tun? Endlich mal richtig sanktionieren, wir verfeuern halt immer noch chillig russisches Gas. Auch da sanktionieren, wo man der eigenen Wirtschaft schadet. Das könnte man ja abfedern. Im Moment wollen wir irgendwie den Kuchen haben und essen.

Internationale Allianzen befördern, um auch andere Staaten zur Sanktionierung zu bewegen. Geld bewegt viel. Man kann ja Indien bessere Deals anbieten, wenn sie auch aufhören russisches Gas zu kaufen.

Wenn man unbedingt abschrecken will, könnte man auch über den Ausbau eines europäischen nuklearen Schutzschildes debattieren. Das ist zwar auch Aufrüstung, aber durch den Kalten Krieg eben als besser funktionierend belegt als konventionelle Aufrüstung.

Die hybride Kriegsführung ernstnehmen.

das Militär wenigstens einigermaßen zu demokratisieren

Ja, wenn wir das nicht anders schaffen als per Wehrdienst? Ähm, dann will ich noch weniger Militär. Das ist ja auch imner, was mich stark umtreibt. Solange wir am Rande einer AfD Regierung wandeln, ist es ja richtig dumm aufzurüsten...da stellen wir Putin ein schlüsselfertiges, großes Militär hin, dass der einfach übernimmt? Weiß ich nicht.

[–] trollercoaster@sh.itjust.works 1 points 1 week ago* (last edited 1 week ago)

Wenn man unbedingt abschrecken will, könnte man auch über den Ausbau eines europäischen nuklearen Schutzschildes debattieren. Das ist zwar auch Aufrüstung, aber durch den Kalten Krieg eben als besser funktionierend belegt als konventionelle Aufrüstung.

Das funktioniert auch nur in Kombination mit konventioneller Abschreckung, denn wenn man nur strategische nukleare Abschreckung hat, fehlt ein glaubwürdiger Eskalationspfad. Niemand wird Dir abnehmen, dass Du wegen einer kleinen Grenzverletzung die Vernichtung der gesamten Welt lostreten wirst, denn genau darauf läuft ein strategischer Atomschlag hinaus.

Im kalten Krieg wurde deshalb auch massiv auf konventionelle Abschreckung gesetzt. Sehr viel davon wurde alllerdings nach dem vermeintlichen Ende des kalten Krieges abgerüstet.

Außerdem müssen auch die Kapazitäten zu einer glaubwürdigen nuklearen Abschreckung erstmal aufgebaut werden. Innerhalb der EU hat nur Frankreich eine sehr begrenze Kapazität auf dem Gebiet. Die französische Zweitschlagskapazität besteht primär aus 4 Raketen-U-Booten, von denen jeweils 2 permanent einsatzbereit auf See sind, das sind insgesamt 32 Raketen, die theoretisch jeweils bis zu 6 Sprengköpfe tragen können. Klingt erst mal nach einer ganzen Menge. Praktisch hängt das aber an den 2 U-Booten. Wenn ein Gegner glaubt, die aufspüren und ausschalten zu können, bevor sie ihre Raketen starten können, wird die Luft dünn. Insbesondere, wo sich zunehmend abzeichnet, dass eine nukleare Abschreckung der EU sich nicht nur gegen einen, sondern gegen mehrere potenzielle Gegner richten muss. Dass einer der Gegner Russland ist, ist klar, die USA sollte man aber auch nicht mehr als Verbündeten sehen, und China tritt weltpolitisch auch zunehmend aggressiv auf.

Großbritannien als Partner hab ich mal bewusst ausgeklammert, nicht nur, weil die nicht in der EU sind, sondern wegen deren politischen Instabilität (Brexit und Nachwirkungen), außerdem benutzen die auf ihren strategischen Raketen-U-Booten amerikanische Trident-Raketen. Auch wenn die sich nicht remote abschalten lassen, können die USA die mittelfristig durch Einstellung der Ersatzteilversorgung lahmlegen. Von der Kapazität her liegt Großbritannien ungefähr gleich mit Frankreich.